Erfahrungsbericht zur Einführung 4-Tage-Woche im Jahr 2023
Seit mehreren Jahren schwebt das Thema „Einführung 4-Tage-Woche“ durch Medien und das Internet. Dieser Diskurs ist durch häufig fehlende Sachkenntnisse und durch ungerechtfertigte Annahmen geprägt. Beispielsweise ist eine 4-Tagewoche nicht eine Teilzeitstelle mit 32 Wochenstunden und eine 4-Tage-Woche löst auch nicht bestehende Personalprobleme.
Diese und viele andere Punkte sowie vorgebliche Vorteile bzw. Nachteile verunsichern viele Unternehmen, wie Sie dass Thema angehen können. Dazu soll unser kurzer Erfahrungsbericht einen ersten Eindruck geben, wie es in kleinen Dienstleistungsunternehmen gehen könnte. Vor allem: Welche Aspekte sind hier wirklich von Bedeutung?
Wir geben nachfolgend einen kurzen Überblick, was wir für eine erfolgsversprechende Einführung einer 4-Tage-Woche für erforderlich halten. Dazu sind wir bei uns über einen längeren Zeitraum in drei Phasen vorgegangen.
Phase 1: New Work und Work-Life Balance
Wichtige Voraussetzung
Für viele vielleicht nur modische Schlagworte, aber Vorsicht: Dahinter stehen ernsthafte Bedürfnisse der Mitarbeiter/innen, deren Ignoranz schnell Probleme erzeugen kann.
Grundlegend ist zu beachten, dass alle Mitarbeiter in ihrer Arbeit Erfüllung finden möchten. Die den Mitarbeitern zugewiesenen Aufgaben sollen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechen. Mitarbeiter/innen sollten selbstbestimmt arbeiten können, in einem für sie optimalen Arbeitsumfeld. Sie sollen sich jederzeit Hilfe holen können. Ihnen sollte auch ein Feedback zu ihren Arbeitsergebnissen zur Verfügung stehen. Dann sollte im Unternehmen ein positives Betriebsklima vorherrschen. Die Mitarbeiter sollten untereinander nicht im Wettbewerb stehen, sondern Teamarbeit sollte stattdessen aktiv gefördert werden.
Weiterhin sollten auch flexible Arbeitszeiten ermöglicht werden, weiterhin Home-Office, gemeinsame Kanzleievents. Auch freiwillige Sozialleistungen bis hin zum wöchentlichen Obstkorb vermitteln den Mitarbeitern einen gewissen Grad an Wertschätzung. Die Ausstattung der Arbeitsplätze sollte top sein, z. B. höhenverstellbare Schreibtische, hochauflösende Flat-Screens, etc.
Wer hier seine "Hausaufgaben" nicht gemacht hat, sollte die Einführung 4-Tage-Woche besser ersteinmal zurückstellen. Wir haben vor mehreren Jahren damit begonnen, unsere Kanzlei auf „New Work“-Level zu bringen.
„First things first“, also Phase 1 für uns.
4-Tage-Woche vervollständigt New Work
Die Einführung 4-Tage-Woche sollte die logische Fortführung von New Work sein oder anders ausgedrückt: Work-Life Balance ist keine Luxusforderung. Sie ist ein echtes Grundbedürfnis der Mitarbeiter, eingebettet in ein berufliches Umfeld, wo auch der „Work“-Teil ausbalanciert ist.
Wer hier am falschen Ende spart, kann schon mal alle Hoffnungen auf Produktivitätssteigerungen im Rahmen einer 4-Tage-Woche abschreiben. Denn eins muss klar sein: Eine 4-Tage-Woche stellt hohe Anforderungen an die Unternehmensleitung und erfordert volle Bereitschaft der Mitarbeiter, sich nochmal neu zu organisieren.
Denn es braucht auch eine höhere Flexibilität bei den Mitarbeitern, eine eigenständige Arbeitsplanung für jeden einzelnen der vier Arbeitstage, ein exzellentes Teamwork. Dazu kommt noch ein geändertes Mind-Set, also eine geänderte Arbeitseinstellung. Wenn für Mitarbeiter ein berufliches (und durch die Einführung 4-Tage-Woche auch privates) Umfeld geschaffen wird, in dem sie sich mit ihrer Aufgabenerfüllung voll identifizieren können, ist ein wichtiger Grundstein gelegt. Da es dann "ihre" Arbeitsaufgaben sind, besteht eine hohe Motivation, ihre Arbeit so vorzunehmen, dass diese in Übereinstimmung mit einer 4-Tage-Woche gebracht werden kann (und damit auch auf die hierdurch reduzierten Arbeitszeit).
Phase 2: Übergang von 40- auf 36-Stundenwoche
Der erste Schritt: Verbesserung Work-Life-Balance
Vor zwei Jahren führten wir Gespräche in der Kanzlei über mögliche Arbeitszeitverkürzungen. Dabei stellte sich bei allen Mitarbeitern ein hohes Interesse heraus, statt einer 40-Stundenwoche nur noch eine 36-Stundenwoche arbeiten zu müssen. Der allgemeine Wunsch war, Freitagnachmittag nicht mehr arbeiten zu müssen gemäß dem Motto: „Freitag um eins, macht jeder seins“.
Dazu gehört die weitere Überlegung, dass die Produktivität am Ende einer intensiven Arbeitswoche nicht mehr groß sein kann und die Fehlerquote steigt. Es wird also freitags mehr oder weniger lustlos bis zum Dienstende weitergearbeitet. Von daher war auch die Erwartung, dass diese Arbeitszeitverkürzung nicht in vollem Umfang die verfügbare produktive Arbeitszeit reduzieren wird. Die sich anschließende Umsetzung erfolgte dadurch, dass ab dem neuen Jahr eine Arbeitszeit von nur noch 36 Stunden pro Woche (bei gleichbleibenden Gehältern) vereinbart wurde. Dabei wurde der Arbeitsumfang zunächst nicht reduziert und organisatorische Maßnahmen blieben noch in der Schwebe.
Das führte erstmal dazu, dass zu Beginn des neuen Jahres viele Mitarbeiter (aber nicht alle?!) Probleme hatten, ihr bisheriges Arbeitspensum zu schaffen, also zunächst eine Art „36-Stundenwoche plus Überstunden“ arbeiten mussten. Das nahm aber Monat für Monat ab, nachdem die Auftragsplanung (vorübergehend) etwas „gestreckt“ und organisatorische Anpassungen erfolgten. Damit konnten sich die Mitarbeiter besser auf die neue Arbeitssituation einstellen.
Der zweite Schritt: Motivation zu mehr Produktivität
Dadurch bestand bei den Mitarbeitern eine hohe Motivation während der Woche darauf zu achten, dass nicht Arbeiten bis zum Rest der Woche liegen bleiben. Denn das verlängerte Wochenende war den Mitarbeitern schnell „heilig“ geworden, das wollte sich keiner mehr entgehen lassen. Jetzt konnte man freitagnachmittags alle privaten Angelegenheiten erledigen und das „richtige“ Wochenende konnte schon Samstagmorgen beginnen und nicht wie früher, erst am Samstagnachmittag.
Im Folgenden kann man zusammenfassen, dass Phase 2 nach anfänglichen Schwierigkeiten für alle Mitarbeiter und die Kanzlei ein großer Erfolg war. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter hat sich sichtbar erhöht, beispielsweise sieht man jetzt montagmorgens in viele fröhliche Gesichter. Und aus der Sicht der Kanzlei haben sich keine wirklichen Nachteile ergeben. Der befürchtete Rückgang des Arbeitsvolumens war letztlich nach einem dreiviertel Jahr nur noch ein vorübergehendes Ereignis.
Danach haben wir in der Unternehmensleitung bedauert, dass wir die sukzessive Einführung 4-Tage-Woche nicht schon viel früher in Angriff genommen haben. Wir haben völlig unterschätzt, was möglich ist, wenn alle Interessen (für die Mitarbeiter mehr Freizeit, für die Kanzlei keine finanziellen Einbußen) sich für ein gemeinsames Ziel bündeln lassen.
Phase 3: Übergang auf 4-Tage-Woche
Gemeinsam in die 4-Tage-Woche
Phase 3 besteht nun darin, von einer 36-Stundenwoche zu einer 32-Stundenwoche zu kommen, natürlich ohne Gehälter zu kürzen. Ein Schritt vor dem wir als Unternehmensleitung auch zurückgeschreckt sind (wie schon bei der 36-Stundenwoche). Aber die positive Erfahrung aus Phase 2 hat uns hier viel Selbstvertrauen gegeben, auch noch diesen Schritt zu wagen.
Nach nunmehr einem Jahr ist die 36 Stundenwoche für alle selbstverständlich geworden. Niemand bei uns käme heute noch auf die Idee, freitagnachmittags zu arbeiten. Offiziell haben wir mit der 4-Tagewoche am 1. Januar 2024 gestartet, aber manche konnten so lange nicht warten und haben im Jahr 2023 bereits an vier Tagen neun Stunden gearbeitet, um den Freitag ganz frei zu haben.
Danach haben wir, im Gegensatz zur Phase 2, die Einführungsphase für die Einführung 4-Tage-Woche intensiv durch Gespräche und Schulungen mit den Mitarbeitern vorbereitet. Dazu gehört unter anderem wie man seine vier Arbeitstage selbst organisiert und sich im Team selbstständig abstimmt. Und wie man eigene Arbeitsziele definiert und umsetzt, mit einer anderen Einstellung an seine Arbeitsaufgaben herangeht und vieles andere mehr.
Wie bereits oben dargestellt, führt nur der Ansporn, eine 4-Tage-Woche im Rahmen von New Work, also mit optimalen Arbeitsbedingungen zu bekommen, zu den gewünschten gemeinsamen Veränderungen. Denn jetzt fühlt sich für die Mitarbeiter Beruf wieder als eigenes Leben an, nämlich ihr Leben, mit voller persönlicher Integrität und Gestaltungsfreiheit.
Demgegenüber kann man Produktivität und bessere Arbeitsorganisation nicht verordnen. Wer glaubt denn ernsthaft, ein freier Wochentag kann vier miserable Arbeitstage ausgleichen?
Welche Ziele mit 4-Tage-Woche verfolgen?
Auch hatten wir bereits erwähnt, dass man sich nicht aus der öffentlichen Diskussion auf die üblichen „Vorteile“ wie weniger Fluktuation, weniger Fehlzeiten, bessere Chancen bei Bewerbern, etc. einschränken lassen sollte. Ebenso wenig, wie auf die „Nachteile“ durch höhere Personalkosten für (evtl.) mehr Personal. Für uns geht es bei der 4-Tage-Woche nicht um kurzfristige Effekte, dafür ist der Umstellungsaufwand viel zu hoch.
Für uns steht die Steigerung der Lebensqualität der Mitarbeiter im Focus, weil diese über die deutlich verbesserte Zufriedenheit in ihrer Arbeit zu besseren Leistungen und Service für unsere Mandanten führt.
Denn die hohe Zufriedenheit unserer Mandanten mit unseren Leistungen ist nicht nur unser Lebenselixier, sondern langfristig auch unsere Zukunft als Kanzlei.
Unser Ziel war und ist:
win:win:win
Mitarbeiter - Mandanten - Kanzlei
Hinweis:
Wir werden zukünftig von Jahr zu Jahr an dieser Stelle ein Update zur weiteren Entwicklung und den von uns gesammelten Erfahrungen zur 4-Tage-Woche geben.